Seitdem wir aus dem Sommerurlaub zurückgekommen sind, versuchen wir wieder im Alltag anzukommen. Doch irgendwie fühlte sich alles nicht mehr so leicht und lebensfroh an.

Kein Wunder, denkst du jetzt vermutlich, schließlich ist Alltag nun mal kein Urlaub.

Stimmt schon.

Aber mein Alltag ist ein sehr bewusst gewählter. Ich will nicht nur bis zum nächsten Urlaub durchhalten, sondern mit den Kindern zusammen unser gewähltes Alltagsleben lebenswert gestalten.

Gleichzeitig wollen hier aber auch ein Blog wiederbelebt, ein Haushalt nicht vergessen und viele andere Dinge erledigt werden. Und so fühlte es sich dann doch viel zu sehr nach Durchhalten und vom nächsten Urlaub träumen auf meiner Seite und undefinierbarer Unzufriedenheit auf Kinderseite an. Damit wollte ich mich jedoch nicht abfinden und so habe ich mich auf die Suche begeben, was uns da helfen könnte. Gefunden habe ich: den Familienrhythmus.

(Dieser Artikel wurde ursprünglich am 29.9.2018 veröffentlicht.)

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Bisher verlaufen unsere Tage sehr unterschiedlich: mal wird stundenlang zufrieden gespielt und mal an Mama geklebt bzw. viel gestritten. Manchmal entscheide ich mich für den Haushalt und schaffe viel, dafür bleiben der Blog, unsere Kontakte und Ruhepausen für mich auf der Strecke. Dann wieder arbeite ich konzentriert, doch irgendwann gibt es nur noch Kinderstreit. Oder wir gönnen uns Ausflüge und Unternehmungen, doch dann ärgert sich mein großer Lieblingsmensch über das Chaos, wenn er nach Hause kommt. Irgendwie läuft es gerade einfach nicht rund und unzählige Dinge kosten viel Kraft oder werden ganz vergessen. Gleichzeitig fällt es mir oft schwer immer wieder für meine Kinder präsent zu sein und den Dingen in unserem Alltag Raum zu geben, die uns wirklich wichtig sind. Lebensfreude und Leichtigkeit spüren wir so viel zu selten.

Vielmehr bin ich an manchen Tagen schon mittags geschafft: so viele Entscheidungen, so viele Ideen, oft nicht genug Energie auf meiner Seite (dafür massig Energie auf Kinderseite) und generell zu wenig Zeit für mich. Die Zu-erledigen-Berge türmen sich immer höher, weil jeder einzelne Punkt gegen „etwas mit den Kindern machen“, „einfach mal kurz durchatmen“, „am Blog arbeiten“, etc. abgewogen wird. Und mittendrin dann auch noch 3 (am Wochenende 5) sehr unterschiedliche Menschen mit verschiedensten Bedürfnissen, deren Nichterfüllung oft erst an der exponentiell steigenden Konflikthäufigkeit sichtbar wird.

Also brauchen wir eine sinnvolle Hilfe, die uns die Last der Entscheidungen abnimmt ohne die Entscheidungsfreiheit und Spontanität einzuschränken. Eine Hilfe die dafür sorgt, dass Bedürfnisse grundsätzlich beachtet und Aufgaben systematisch abgearbeitet werden. Und die uns gleichzeitig dabei unterstützt, unsere Beziehungen und die Dinge, die uns wirklich wichtig sind, ganz bewusst im Alltag zu verankern.

Wie kann ein Familienrhythmus helfen?

Für mich ist Rhythmus eine bewusste und möglichst sinnvolle Abfolge der Ereignisse und Tätigkeiten, die wir in unserem Tag haben wollen oder haben müssen. Der Tag bekommt durch den Rhythmus einen Rahmen bzw. eine Grundstruktur, so dass nicht über jeden Tagesordnungspunkt neu nachgedacht werden muss. Das spart Kraft auf meiner Seite und gibt den Kindern Orientierung, welche ihnen im Idealfall beim Einlassen auf den jeweiligen Moment hilft (also beispielsweise beim Tief in ihr Spiel versinken). Ich habe den Kopf frei um präsent zu sein und gleichzeitig die Sicherheit, dass für alle anderen wichtigen Dinge auch Zeiten kommen werden (ohne, dass ich ständig aktiv danach suchen muss).

Dieser Rhythmus ist jedoch überhaupt nicht vergleichbar mit einer strengen Zeitplanung: es geht eben nicht darum an Uhrzeiten orientierte Pläne abzuarbeiten. Es geht auch nicht darum, unsere Wünsche und Bedürfnisse sowie jegliche Spontanität der Planung unterzuordnen. Vielmehr geht es darum Raum für freie Entscheidungen zu schaffen, indem Bedürfnisse vorausschauend erfüllt und unnötige Entscheidungsprozesse abgekürzt werden. Außerdem sorgt ein guter Rhythmus dafür, dass unsere Prioritäten im Alltag nicht untergehen. All das darf insbesondere mich gerne soweit entlasten, dass unser Alltag reibungslos funktioniert und Raum für viele schöne Momente bleibt.

Letztendlich stelle ich mir einen guter Rhythmus wie ein Lieblingskleidungsstück vor: ich kann darauf vertrauen, dass er mir gut tut und mich wunderbar passend durch den Tag begleitet. Ich kann aber auch jederzeit beschließen, dass ich heute spontan Lust auf etwas anderes habe.

Wie sieht das konkret aus?

Wir beginnen und beenden unsere Tage gemeinsam und dazwischen wechseln sich Phasen des „jeder macht, was er will“, mit gemeinsamen Phasen ab. Außerdem stellen wir sicher, dass auch eher ungeliebte Dinge wie Hausaufgaben und der Hausputz ihren Platz finden. Aktuell probieren wir noch ein wenig herum, welche Variante uns am besten gefällt. Der aktuelle Plan ist:

Während der Papa mit der Schulkind-Prinzessin aufsteht, werden wir langsam wach. Einer der Räuber flitzt oft ebenfalls in die Küche um ein gemütliches Papa-Müsli sowie morgendliche Papa-Zeit zu genießen, während der andere Räuber erst langsam wach wird und Mama-Kuschel-Zeit braucht.

Wenn wir die Prinzessin und den Papa verabschiedet haben, machen wir uns fertig fürs Frühstück und zelebrieren dieses mit Kerze, einem Lied oder auch einer Geschichte. Wir besprechen, was wir am Tag vor haben und was sonst noch für jeden einzelnen wichtig ist. Oft klären wir auch spannende Fragen der Räuber oder schauen in ein Buch – es ist einfach eine entspannte gemeinsame Zeit und ein guter Start in unseren Vormittag.

Danach macht jeder, was er möchte (oder sollte): ich beginne mit Küche aufräumen und Hausarbeit, wobei ich meist ein oder zwei Helfer habe. Sie beginnen nach und nach zu spielen und ich habe Zeit für alles, was so erledigt werden will. Manchmal schaffe ich es auch ein wenig zu arbeiten oder ein kleines Päuschen einzulegen, weil die Räuberkinder einfach schon viel Aufmerksamkeit hatten.

Irgendwann meldet der erste Räuber Hunger und wir beginnen mit einer Zwischenmahlzeit unsere gemeinsame Zeit am Vormittag: wir spielen, lesen Bücher, arbeiten im Garten, backen, gehen raus in die Natur, machen etwas Kreatives oder bekommen Besuch/ besuchen jemanden. Bisher entscheiden wir meist ganz spontan worauf wir Lust haben, vielleicht werden wir aber auch hier einen Rhythmus testen.

Später wird gekocht, die Prinzessin zurück begrüßt und dann gemeinsam Mittag gegessen. Danach ist neuerdings Hausaufgabenzeit – die Räuber können ebenfalls am Tisch rätseln oder basteln, ruhig in unserer Nähe spielen oder rausgehen. Ich sitze dabei und arbeite solange ich nicht gebraucht werde. Manchmal ist auch ein Mittagspäuschen für mich drin.

Wenn alles erledigt ist, belohnen wir uns gerne, indem wir etwas Schönes zusammen machen: Vorlesen, ein Spiel spielen, an einem gemeinsamen Projekt arbeiten etc. – dieses „bewusst gemeinsam“ klappt nicht immer. Aber wenn es klappt, tut es vor allem den Geschwistern untereinander sehr gut und sie finden nach der Vormittags-Trennung wieder zueinander. Danach ist Zeit für freies Spielen, Besuche, Ausflüge oder worauf wir sonst so Lust haben. Wenn alle gut spielen, kann ich etwas für mich machen.

Anschließend gibt es ein gemeinsames Familienabendessen und dann geht es theoretisch Richtung Bett, wobei die Räuberkinder vorher gerne noch eine Runde spielen oder draußen toben. Einer von uns Großen macht meist eine zweite Runde Haushalt, während der andere den Kindern im Bad hilft. Im Bett lesen wir dann gerne lange vor, besprechen den Tag und unzählige Kinderfragen und dann wird in den Schlaf gekuschelt. Danach haben wir Großen noch etwas Zeit, wenn ich nicht wieder mit den Kindern eingeschlafen bin 🙂

Einige Aspekte dieses Rhythmus-Entwurfs funktionieren bei uns schon sehr zuverlässig, andere werden noch weiter probiert, bis wir eine für alle passende Lösung gefunden haben. Wichtig ist uns allen jedoch, dass dieser Rhythmus nur ein flexibler Rahmen ist. Unser einziger fester Termin am Tag ist gegen 13:10, wenn die Prinzessin aus der Schule kommt und ich versuche, sie mit meiner vollen Aufmerksamkeit zu empfangen. Davor und danach passen wir den Rhythmus immer den aktuellen Begebenheiten an. Oft bekommen wir spontan Besuch oder gehen jemanden besuchen, manchmal gibt es auch andere Termine oder Erledigungen – alles klein Problem, weil unser Rhythmus ein Vorschlag aber keine Pflicht ist.

Das ist im Prinzip nichts Besonderes. Ich denke es geht einfach darum, sich einmal gut zu überlegen, was wirklich wichtig ist und wann das am besten in den Tag passt. Als nächstes kann man ruhigere mit aktiveren, gemeinsame mit individuellen Phasen abwechseln, so dass der Tag entspannt fließen kann und jedes Familienmitglied auf seine Kosten kommt.

Funktioniert das auch halbtags?

Ich denke schon – schließlich haben wir die Prinzessin auch nur halbtags bei uns. Vielleicht ist sogar gerade dann neben dem halben Tagesrhythmus ein Wochenrhythmus (dazu gleich mehr) noch viel wertvoller, um die gemeinsame Zeit gut nutzen zu können. Besonders nach Kindergarten oder Schule geht es ja einerseits darum wieder aufeinander zuzugehen und andererseits müssen in dieser Zeit auch noch freies Spielen, Freunde und andere Kontakte, mögliche Kurse und feste Aktivitäten, diverse Erledigungen und der Haushalt ihren Platz finden.

Gerade für meine Prinzessin empfinde ich unsere Rhythmus-Bemühungen jetzt schon als große Hilfe: unsere Hausaufgaben-Kämpfe haben sich nahezu in Luft aufgelöst und sie fordert nicht mehr so viel Fernseh-Ablenkung (Langeweile direkt nach der Schule), weil sie genau weiß, dass ich mir die Zeit nehme etwas schönes zusammen mit ihr zu machen. Auch kämpfen wir nicht mehr um Aufmerksamkeit sondern sie scheint gerade sicher zu wissen, dass sie im Verlauf des Nachmittags genug davon bekommen kann. Das ist für uns alle eine sehr angenehme Veränderung.

Das größere Bild

Die Idee des Tagesrhythmus habe ich aus der Beschäftigung mit den Prinzipien der Waldorf-Pädagogik (gibt es an anderer Stelle natürlich auch). Ich finde nicht alle Waldorf- Prinzipien und Hintergründe überzeugend, aber ich dufte schon mehrfach erfahren, wie positiv beispielsweise Waldorf-Räumlichkeiten auf mich wirken. Ich mag einfach viele Aspekte des Waldorf-orientierten Lebens. Deshalb experimentieren wir gerade herum, was uns davon hilft unsere Tage wieder lebensfroher, entspannter und einfach schöner zu gestalten.

Der Tagesrhythmus wird aus Waldorf-Sicht ergänzt von einem Wochen- und einem Jahresrhythmus. Der Wochenrhythmus ordnet bestimmte Aktivitäten wie Backen, Handarbeiten, aufwendigere Kreativprojekte, Verabredungen, Naturausflüge, Gartenarbeit, etc. den verschiedenen Wochentagen zu. Auch Vereine und Kurse finden hier ihren Platz, allerdings sollen sie bewusst nicht viel Zeit einnehmen. Ich denke dies erleichtert den Kindern den Überblick und sorgt gleichzeitig dafür, dass gemeinsame Zeiten abwechslungsreicher werden und kein der Familie wichtiger Punkt vergessen wird.

Der Jahresrhythmus wiederum sorgt laut meinem Verständnis dafür, dass das Leben eine an den natürlichen Rhythmen orientierte Struktur bekommt. Ich glaube es hilft uns Menschen dabei ganzheitlich zu leben, wenn wir näher an der Natur leben, und der Jahresrhythmus richtet den Fokus immer wieder darauf aus. Außerdem hilft er, das Jahr in für unsere spezielle Familie wichtige Abschnitte zu unterteilen: wer hat bald Geburtstag, welche Feste sind uns wichtig, was wollen wir noch berücksichtigen? Wenn wir alle wissen, was bald kommen wird, können wir gemeinsam dafür vorbereiten – das bringt sinnvolle Bastelprojekte, Lieder zum erlernen, Sachthemen und mehr mit sich. Und es schafft Familientraditionen, die uns alle bereichern.

Diese drei Rhythmen zusammen helfen, jeden einzelnen Tag mit den Kindern bewusster zu gestalten. Und ich denke, gerade in dieser Beschäftigung mit dem „Warum wollen wir es wie machen?“ und „Was ist besonders wichtig für uns?“ liegt ein besonderer Zauber: die Tage verfliegen eben nicht einfach irgendwie, sondern werden bewusst sinnvoll gefüllt. Die Familienprioritäten, alle Bedürfnisse und auch die verschiedenen Arbeiten können ihren Platz finden. Idealer Weise ist dann nach Bedürfnissen und Alltagsarbeiten auch noch genügend Zeit für eigene Projekte.

Lohnt sich der Aufwand?

Ich finde es attraktiv, wenn unsere Tage sinnvoll ausbalanciert „im Flow“ verlaufen. Wenn genug Struktur da ist um allen Orientierung zu bieten und mir die Sicherheit, dass kein wichtiges Bedürfnis und keine Aufgabe zu kurz kommt. Und gleichzeitig aber auch immer genug Raum für Leichtigkeit und Spontanität sowie all das, was wir wirklich in unserem Leben haben wollen. Genau dies alles zusammen zu puzzeln erfordert eine ganze Menge Zeit und Kraft sowie Selbstdisziplin am Anfang – daran arbeiten wir gerade.

Ob wir letztendlich nach diesem Rhythmus leben wollen oder aber weiterhin sehr spontan, dafür mit wesentlich mehr Bewusstsein für unsere Prioritäten und Bedürfnisse, wird sich mit der Zeit zeigen. Und so bin ich sehr gespannt, wohin uns meine Rhythmusbemühungen führen werden. Bisher arbeiten wir am Tagesrhythmus, während meine Wochenrhythmusentwürfe immer wieder spontan umgestellt wird. Der Jahresrhythmus ist ein noch größeres Projekt und ich feile noch ein wenig daran herum. Es fühlt sich jedoch bisher hilfreich an und ich werde weiter berichten.

Nutzt ihr schon einen Rhythmus als Hilfsmittel? Erzähl mir doch in den Kommentaren davon!

Lass uns gemeinsam ein lebenswertes Familienleben für alle gestalten!

Deine

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